Vorbeischlängeln“ an stehenden Kolonnen für Einspurige legal!“
§ 12 Abs. 5 StVO: „Müssen Fahrzeuge vor Kreuzungen, Straßenengen, schienengleichen Eisenbahnübergängen und dergleichen angehalten werden, so dürfen die Lenker einspuriger, später ankommender Fahrzeuge nur dann neben oder zwischen den bereits angehaltenen Fahrzeugen vorfahren, um sich mit ihren Fahrzeugen weiter vorne aufzustellen, wenn für das Vorfahren ausreichend Platz vorhanden ist und die Lenker von Fahrzeugen, die ihre Absicht zum Einbiegen angezeigt haben, dadurch beim Einbiegen nicht behindert werden.“
Diese Bestimmung wurde mit der 20. StVO-Novelle für alle einspurigen Fahrzeuge (früher nur Radfahrer) eingeführt. Aber Achtung: Auch beim „Vorbeischlängeln“ bleibt das Überfahren von Sperrlinien, das Missachten von Bodenmarkierungen, die den Fahrstreifen für bestimmte Fahrtrichtungen vorsehen, … weiterhin verboten!
Der folgende Text ist einem Aufsatz von Min.-Rat Dr. Herbert Grundtner, Wien, erschienen in der Zeitschrift für Verkehrsrecht, entnommen und beleuchtet die rechtlichen Aspekte des Vorschlängelns für einspurige Fahrzeuge, das seit der 20. StVO Novelle nicht mehr wie bisher nur für Fahrräder, sondern für alle einspurigen Fahrzeuge erlaubt ist.
Begriff des “ Vorfahrens“
Der § 12 Abs 5 verwendet offensichtlich keinen der in Betracht kommenden Begriffe des § 2, sondern spricht von“ Vorfahren“. Damit wird weder § 2 Abs 1 Z 29 (Überholen) noch § 2 Abs 1 Z 30 (Vorbeifahren) zur Anwendung kommen. Dies bedeutet, daß §§ 15 bis 17 im Falle des § 12 Abs 5 nicht gelten. Das Vorfahren ist weder als Überholen noch als Vorbeifahren anzusehen. Man kann es wie folgt definieren: „Das Vorfahren ist das Vorbeifahren durch den Lenker eines später ankommenden einspurigen Fahrzeuges neben oder zwischen bereits vor Kreuzungen, Straßenengen, schienengleichen Eisenbahnübergängen und dergleichen angehaltenen Fahrzeugen in der Absicht, sich weiter vorne aufzustellen.“ Ob Bodenmarkierungen zur Kennzeichnung von Fahrstreifen vorhanden sind, ist nicht von Bedeutung. Das Vorfahren ist ein Sonderfall des Vorbeifahrens. Ist ein Fahrzeug im Anhalten begriffen und bewegt sich daher noch, kommt § 12 Abs 5 nicht zur Anwendung. Dieser Vorgang ist nach §§ 15 und 16 zu beurteilen, da ein Überholen vorliegt.
Geltung – Umfang
§ 12 Abs 5 gilt nur für einspurige Fahrzeuge (Fahrräder, Motorfahrräder, Leichtmotorräder, Kleinmotorräder, Motorräder), die vorfahren. Unter einspurige Fahrzeuge fällt der Roller (§ 2 Abs 1 Z 22 lit c), die übrigen im § 2 Abs 1 Z 22 definierten Fahrradarten können auch mehrspurig sein. Derartige mehrspurige Fahrräder dürfen nach § 12 Abs 5 nicht vorfahren. Da der § 12 Abs 5 auf die Lenker einspuriger Fahrzeuge abstellt, ist das Vorfahren mit einem einspurigen Fahrzeug auch dann erlaubt, wenn dieses einen mehrspurigen Anhänger zieht. Bei den angehaltenen Fahrzeugen sind ein- und mehrspurige umfaßt, da nur von Fahrzeugen gesprochen wird. Die Frage, wie viele Fahrzeuge anhalten müssen bzw wie viele vorfahren dürfen, ist wie folgt zu lösen: Das Gesetz spricht sowohl bei den Vorfahrenden als auch bei den Anhaltenden in der Mehrzahl, trotzdem muß davon ausgegangen werden, daß § 12 Abs 5 auch dann gilt, wenn ein einspuriges Fahrzeug vorfährt bzw wenn nur ein Fahrzeug vor einer Kreuzung und dergleichen angehalten wurde. Dies ergibt sich daraus, daß das Gesetz auch bei Kreuzungen usw in der Mehrzahl spricht. Fährt ein einspuriges Fahrzeug an einem Fahrzeug, welches vor einer Kreuzung und dergleichen anhält, vor, gilt § 12 Abs 5.
Wo müssen die Fahrzeuge anhalten, daß mit einspurigen Fahrzeugen vorgefahren werden darf:
- Kreuzungen,
- Straßenengen,
- schienengleiche Eisenbahnübergänge
- und dergleichen (hierher gehören die Schutzwege, die Radfahrerüberfahrten, aber auch Baustellen, die durch Signal scheiben geregelt werden [§ 40 Abs 1], oder wenn ein Organ der Straßenaufsicht außerhalb einer Kreuzung, einer Straßenenge, eines schienengleichen Eisenbahnübergangs und dergleichen den Verkehr anhält).
Aus dem Ausdruck „und dergleichen“ ist aber in Abgleichung an die P 1 bis 3 zu schließen, daß zB folgende Situationen von § 12 Abs 5 nicht umfaßt sind:
- Ein in zweiter Spur stehendes Fahrzeug blockiert den Verkehr bzw
- Stau in Folge von Verkehrsüberlastung.
Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, daß diese Bestimmung für den Lenker eines einspurigen Fahrzeuges nur schwer einzuhalten ist. Kommt eine Kolonne wegen eines Staus bei einer Straßenenge zum Stillstand, darf er vorfahren, kommt eine Kolonne wegen Verkehrsüberlastung zum Stillstand, darf er nicht vorfahren.
Wo darf vorgefahren werden?
§ 12 Abs 5 erlaubt das Vorfahren neben oder zwischen den bereits angehaltenen Fahrzeugen. Daraus ergibt sich, daß § 12 Abs 5 bei jeder Art von Fahrbahnen gilt, egal ob nun ein Fahrstreifen in einer Richtung („neben“) oder zwei oder mehrere Fahrstreifen in einer Richtung („neben“ oder „zwischen“) vorhanden sind.
Vorne aufstellen
Das Vorfahren darf nur dann erfolgen, um sich weiter vorne aufzustellen. Wird vom Lenker des einspurigen Fahrzeuges vorgefahren, ohne diese Absicht, wird § 12 Abs 5 übertreten. Aus der Formulierung des § 12 Abs 5 ist jedoch zu schließen, daß nach dem Vorfahren nicht immer ein Aufstellen erfolgen muß. Man stelle sich vor, die Verkehrslichtsignalanlage schaltet auf „Freie Fahrt“. Ein Aufstellen wäre hier gar nicht mehr zulässig! Wie weit vorne sich der Lenker des einspurigen Fahrzeuges aufstellen will, ist nicht von Bedeutung.
Vorschriften beim Vorfahren
Da das Vorfahren weder unter die Begriffsbestimmungen des „Überholens“ noch des „Vorbeifahrens“ fällt, gelten die Vorschriften der §§ 15 bis 17 hier nicht. Die Vorschriften zB über den seitlichen Sicherheitsabstand oder bzgl der Verpflichtung zur Anzeige des Vorbeifahrmanövers gelten daher nicht. Daß die Einhaltung eines Seitenabstandes beim Vorfahren nicht vorgeschrieben werden kann, ist insofern logisch, als beim Vorbeischlängeln ja auch quer zwischen den Fahrzeugen durchgefahren wird. Der Seitenabstand darf daher beim Vorfahren +/-0 mm sein. Der Lenker des einspurigen Fahrzeuges muß nur so vorfahren, daß kein Fahrzeug beschädigt wird. Es muß nicht einmal eine Fahrzeugbreite zwischen den Fahrzeugen frei sein, wenn der Lenker des einspurigen Fahrzeuges zB durch Querhalten des Lenkers beim Vorfahren zwischen zwei Fahrzeugen eine Berührung vermeiden kann. Es gilt beim Vorfahren an nicht einbiegenden Fahrzeugen nur eine Vorschrift: Es muß für das einspurige Fahrzeug ausreichend Platz vorhanden sein, wobei beim Vorfahren zwischen zwei angehaltenen Kolonnen der ausreichende Platz sich auch aus Teilen des ersten und zweiten Fahrstreifens ergeben kann. Da für den § 12 Abs 5 die Vorschrift des § 12 Abs 4 nicht gilt, da dort nur auf die Abs 1 bis 3 verwiesen wird, sind beim Vorschlängeln weder das Verhalten gegenüber Schienenfahrzeugen (§ 28 Abs 2) noch die Vorschriften über die Bodenmarkierungen (§ 9 Abs 6) anwendbar. Die lex specialis des § 12 Abs 5 geht den Regelungen des § 9 Abs 6 vor. Der Lenker eines einspurigen Fahrzeuges darf zB auf einem Fahrstreifen, auf dem Richtungspfeile zum Rechtseinbiegen vorhanden sind, vorfahren und dann im Zuge des Vorschlängelns auf dem Fahrstreifen mit Richtungspfeilen zum Geradeausfahren wechseln. Er ist nicht strafbar. Der Lenker eines einspurigen Fahrzeuges darf beim Vorfahren auch Randlinien überfahren, da es diesbezüglich keine Sanktionsnorm gibt. Die übrigen Vorschriften des § 9 hat der Lenker eines einspurigen Fahrzeuges beim Vorfahren nach § 12 Abs 5 jedoch zu beachten (Sperrlinien, Sperrflächen!).
Zur Frage, ob der Lenker des einspurigen Fahrzeuges beim Vorfahren einen Fahrstreifen für Omnibusse (§ 53 Abs 1 Z 25) benützen darf, kann ausgehend von der Judikatur des VwGH wie folgt argumentiert werden: Das Verbot der Benützung des Fahrstreifens für Omnibusse bezieht sich nur auf das Befahren in Längsrichtung. Schert daher der Lenker eines einspurigen Fahrzeuges auf den Fahrstreifen für Omnibusse aus, um ein angehaltenes Fahrzeug bogenartig zu umfahren, wird das Verbot des § 53 Abs 1 Z 25 nicht verletzt. Dieselbe Argumentation wird bezüglich eines Pannenstreifens zutreffen.
Bezüglich der einzuhaltenden Geschwindigkeit beim Vorfahren gilt § 20 Abs 1. Je nach der zur Verfügung stehenden Restbreite zum Vorfahren muß die Fahrgeschwindigkeit insb den gegebenen Umständen angepaßt werden. lnsb beim Vorschlängeln wird daher höchstens Schrittgeschwindigkeit zulässig sein.
Einbiegende Fahrzeuge
Beim Vorfahren hat der Lenker des einspurigen Fahrzeuges darauf zu achten, daß die Lenker von Fahrzeugen, die die Absicht zum Einbiegen angezeigt haben, durch dieses Vorfahren nicht behindert werden. Diese Vorschrift gilt sowohl bezüglich Links- als auch Rechtseinbieger. Dieses Behinderungsverbot sagt aus, daß der Lenker beim Vorschlängeln auf betätigte Fahrtrichtungsanzeiger Rücksicht nehmen und die gebotene besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit einhalten muß. Bei einem Verkehrsunfall zwischen einem einbiegenden Fahrzeug und einem vorfahrenden einspurigen Fahrzeug wird daher diesen das Allein- bzw überwiegende Verschulden treffen.
Vorschriften für angehaltene Fahrzeuge
Bezüglich dieser Fahrzeuge ist zu sagen, daß § 23 Abs 4 auch für diese Fahrzeuge gilt. Die Türen des Fahrzeuges dürfen so lange nicht geöffnet werden und auch nicht geöffnet bleiben, als dadurch andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden können. Die Personen, die die Tür öffnen oder geöffnet lassen, müssen aber auch darauf Bedacht nehmen, daß der Lenker des vorfahrenden einspurigen Fahrzeuges praktisch keinen Seitenabstand beim Vorfahren einhalten muß.